Wie interagieren Menschen mit Maschinen? Wie können digitale Assistenten Fabrikmitarbeiter unterstützen, ohne sie durch ihre Komplexität zu belasten? Wie kann eine Technik, die von den Bedürfnissen und Stärken des Menschen ausgeht, diesem helfen, seine Kreativität in Mehrwert umzuwandeln? Oder einen Beitrag leisten, um wertvolles Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter zu bewahren und diese für innovative Produktionstechniken zu begeistern? Dr. habil. Franziska Bocklisch und ihre neue Gruppe »Kognitives Teaming von Mensch und cyberphysischen Produktionssystemen« verfolgen diese Fragen am Fraunhofer IWU. Sie sind überzeugt: Wenn aus dem Nebeneinander von Mensch und Technik eine echte Zusammenarbeit – also ein Teaming – wird, können produzierende Unternehmen noch erhebliche Effizienzreserven ausschöpfen.
Mit Franziska Bocklisch erhält das Fraunhofer IWU Verstärkung in einem Fachbereich, der für ein produktionstechnisches Institut auf den ersten Blick ungewöhnlich ist: der Kognitionspsychologie. Diese befasst sich mit Aspekten menschlichen Denkens und Verhaltens wie zum Beispiel Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Entscheidungsfindung. Sie untersucht, wie sensorische Informationen verarbeitet und zu Wissenseinheiten geformt werden und wie dieses Expertenwissen die Interpretation von Informationen und spätere Entscheidungen beeinflusst. Kognitionspsychologie analysiert auch, wie der Mensch komplexe Probleme dank kreativer Strategien bewältigt und Komplexität sinnvoll reduzieren kann. Eine vermeintliche Schwäche des Menschen bei drohender Überforderung ist tatsächlich eine große Stärke – er reflektiert die Situation, stellt sie in einen größeren Zusammenhang und greift auf Erfahrungswissen zurück: was hat mir geholfen, in einer vergleichbaren früheren Situation eine auf den ersten Blick kaum lösbare Aufgabenstellung doch noch erfolgreich zu meistern? Ein wichtiger Anwendungsbereich der gewonnenen Erkenntnisse liegt in der modernen Produktionstechnik. Wie das Zusammenspiel von Mensch und Technik in Zukunft noch wertschöpfender gestaltet werden kann, ist ein Schwerpunkt der neuen Arbeitsgruppe.
Wechselseitiges Coaching von Mensch und Technik
Viele Innovationen in Robotik, Künstlicher Intelligenz (KI), Data Analytics oder in Visualisierungstechnologien prägen die moderne industrielle Produktion (»Industrie 4.0«). KI ist präzise und wiederholgenau — dank beeindruckender Rechenleistung kann sie mit riesigen Datenmengen umgehen. Gleichzeitig haben leistungsfähige Assistenzsysteme die Komplexität menschlicher Arbeit in der Produktion mitunter sogar erhöht. Der Anspruch, dass Technik den Menschen optimal unterstützen und ihm mehr Freiraum für wertschöpfende Kreativität ermöglichen soll, ist also noch nicht vollständig erfüllt.
Das neue Team am Fraunhofer IWU setzt zwar weiterhin auf die Kombination der jeweiligen Stärken von Mensch und Technik (Komplementarität), betont jedoch den Team-Gedanken als Voraussetzung für einen weiteren Qualitätssprung in der Zusammenarbeit. Zwei wesentliche Kennzeichen von Teamarbeit sind geteiltes Wissen und gemeinsame Ziele. Leicht verständliche KI-Algorithmen, die zur Struktur des menschlichen Fachwissens und der Vorgehensweise von Experten in einem bestimmten Fachgebiet passen, können zu echten »Cyber-Gehilfen« werden. In einer Art wechselseitigem Coaching »sagt« die Technik dem Menschen, wie sich eine Aufgabenstellung noch besser lösen lässt, etwa durch den Rückgriff auf gut strukturierte, relevante Daten, die ein Assistenzsystem bereitstellt. Umgekehrt könnten Mitarbeiter beispielsweise eine KI-Lösung, die noch nicht alle Entscheidungsoptionen kennt, stabiler machen — wenn sie ihre Funktionsweise verstehen und geeignete Entscheidungsgrundlagen erstellen, die die KI in einer neuen Trainingsschleife wissens- und datenbasiert »erlernt«.
Technik vom Menschen her denken
Die Philosophie von “Technik vom Menschen her denken” ist zentral für eine effektive Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen. Bei diesem Ansatz steht der Mensch und seine Fähigkeiten im Vordergrund. Es geht darum, wie Technologien so gestaltet werden können, dass sie den Menschen unterstützen und nicht überfordern. Anstatt zu fragen, was technisch möglich ist, wird gefragt, was der Mensch gut verarbeiten kann und welche Lösung ihm tatsächlich hilft.
Menschliches Erfahrungswissen verfügbar machen…
Intelligente Systeme können dazu beitragen, menschliches Erfahrungswissen zugänglich zu machen und den Transfer dieses Wissens zu erleichtern. Dies ist besonders wichtig, wenn neue Mitarbeiter eingearbeitet werden oder wenn es darum geht, das Know-how erfahrener Mitarbeiter zu bewahren. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist die Verwendung von Eye-Tracking-Technologien, um zu beobachten und zu verstehen, wie Experten bestimmte Aufgaben ausführen. Dieses Vorgehen liefert wichtige Ansatzpunkte zur Erstellung kognitiver Assistenzsysteme und zielführender Automatisierungslösungen.
… und ergänzen
Im Rahmen eines weiteren Forschungsprojekts untersucht die Forschungsgruppe “Human-Cyber-Physical Systems” an der TU Chemnitz, wie Mensch und KI gemeinsame Ziele erreichen und geteiltes Wissen erlangen können. Hierbei wird der menschliche Entscheidungsprozess berücksichtigt und von der KI ergänzt, nicht ersetzt. Die KI kann komplexe Muster in technischen Prozessdaten erkennen und diese für den Menschen verständlich darstellen, wodurch eine effektivere Zusammenarbeit möglich wird.
Es ist wichtig, den Teaming-Gedanken für eine besseres Miteinander von Mensch und Technik breit zu verankern. In der betrieblichen Praxis steht nur selten kognitionspychologische Expertise zur Verfügung – das muss auch nicht sein, wenn Wissenschaft und Industrie transdisziplinär und institutionsübergreifend zusammenarbeiten und beispielsweise bereits Studierende sensibilisiert werden, Technik stärker aus der Perspektive des Menschen zu gestalten. Denn breite Akzeptanz für innovative technische Lösungen sichert ihren wertschöpfenden Einsatz – und nachhaltigen Mehrwert. Franziska Bocklisch: »In der technischen Entwicklung, wie auch in der betrieblichen Umsetzung sollte der Mensch mit seiner Expertise und seinen Bedürfnissen im Vordergrund stehen. Unser Ansatz ist, cyberphysische Systeme an die kognitiven Fähigkeiten des Menschen anzupassen – und nicht umgekehrt«.