Programmierbare Materialien sind wahre Formwandler. Sie ändern auf Knopfdruck kontrolliert und reversibel ihre Eigenschaften und passen sich neuen Gegebenheiten automatisch an. Beispiele für Einsatzbereiche sind bequemes Sitzen oder Matratzen, die das Wundliegen verhindern. In diesem Fall verformt sich die Unterlage so, dass die Auflagefläche groß ist und sich der Druck auf die Körperteile dadurch verringert. Die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer Cluster of Excellence Programmierbare Materialien CPM entwickeln solche programmierbaren Materialien und arbeiten mit Industriepartnern zusammen, um sie zur Marktreife zu bringen. Das Ziel ist, unter anderem, den Einsatz von Ressourcen zu reduzieren.
Eine große Anzahl von Menschen weltweit ist aufgrund von Krankheit, Unfällen oder Alter bettlägerig. Da sie oft nicht in der Lage sind, sich von allein zu bewegen oder zu drehen, kann es zu schmerzhaftem Wundliegen kommen. Um dies in Zukunft zu vermeiden, werden Materialien entwickelt, deren Form und mechanische Eigenschaften an jeder Stelle programmierbar sind. Zum Beispiel könnte die Härte und Steifigkeit von Matratzen, die aus programmierbaren Materialien hergestellt wurden, per Knopfdruck in jedem beliebigen Bereich eingestellt werden. Zusätzlich verformt sich die Unterlage selbstständig so, dass ein hoher Druck an einer Stelle auf eine größere Fläche verteilt wird. Das Bett wird dort, wo es drückt, automatisch weicher und elastischer. Darüber hinaus können Pflegekräfte das ergonomische Liegen individuell auf den Patienten einstellen.
Programmierung der Mikrostrukturierung
Materialien für Anwendungen, die eine gezielte Änderung der Steifigkeit oder Form benötigen, entwickeln Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer CPM, das durch sechs Kerninstitute geprägt wird und zum Ziel hat, programmierbare Materialien zu konzipieren und produzieren. Doch wie lassen sich Materialien überhaupt programmieren? “Wir haben grundsätzlich zwei Stellschrauben: Das Grundmaterial – im Falle der Matratzen thermoplastische Kunststoffe, für andere Anwendungen metallische Legierungen, auch Formgedächtnislegierungen – und insbesondere die Mikrostruktur”, erklärt Dr. Heiko Andrä, Themenfokussprecher am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM, einem der Kerninstitute des Fraunhofer CPM. “Die Mikrostruktur der sogenannten Metamaterialien setzt sich aus einzelnen Zellen zusammen, die wiederum aus Strukturelementen wie kleinen Balken und dünnen Schalen bestehen.” Im Gegensatz zu herkömmlichen zellulären Materialien wie Schäumen, bei denen die Größe der einzelnen Zellen und Strukturelemente zufällig variiert, ist sie bei den programmierbaren Materialien genau festgelegt — sprich programmiert. Zum Beispiel kann die Programmierung so erfolgen, dass Druck an einer bestimmten Position zu gewünschten Formänderungen an anderen Stellen der Matratze führt, um etwa die Auflagefläche zu vergrößern und die Körperzonen optimal zu stützen.
Materialien reagieren auch auf Wärme und Feuchte
Programmierbare Materialien bieten die Möglichkeit, Gegenstände individuell an die jeweilige Anwendung oder Person anzupassen, indem man ihre Mikrostruktur und Materialzusammensetzung gezielt programmiert. Durch die Reaktion auf bestimmte Reize wie mechanische Belastung, Wärme, Feuchte oder elektrische und magnetische Felder können gezielte Formänderungen hervorgerufen werden. Dies führt zu einer höheren Funktionalität und Langlebigkeit von Gegenständen und trägt zur Ressourcenschonung bei. Darüber hinaus lassen sich programmierbare Materialien den individuellen Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer anpassen, was zusätzlichen Mehrwert schafft.
Anwendungsbereiche programmierbarer Materialien
Durch die Integration von Funktionen in das Material können komplette Systeme aus Sensoren, Reglern und Aktuatoren durch ein einzelnes Material ersetzt werden. Das Fraunhofer CPM hat sich das Ziel gesetzt, durch diese Technologie die Komplexität von Systemen zu reduzieren. “Wir haben bei der Entwicklung der programmierbaren Materialien stets das industrielle Produkt mit im Blick, so berücksichtigen wir unter anderem die Serienfertigung und die Materialermüdung”, sagt Franziska Wenz, stellvertretende hemenfokussprecherin am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, ebenfalls eines der Kerninstitute des Fraunhofer CPM. Auch laufen bereits erste konkrete Pilotprojekte mit Industriepartnern. Das Forscherteam prognostiziert, dass die programmierbaren Materialien zunächst einzelne Komponenten in bereits bestehenden Systemen ersetzen werden oder in speziellen Anwendungen genutzt werden – etwa bei medizinischen Matratzen, Sitzen, Schuhsohlen und Schutzbekleidung. “Schrittweise könnte sich dann der Anteil an programmierbaren Materialien erhöhen”, erwartet Andrä. Schließlich sind diese überall einsetzbar – sowohl in Medizin- und Sportartikeln, in der Softrobotik wie auch in der Weltraumforschung.